Schule hat seit je her den Anspruch, auf das Leben als Erwachsener vorzubereiten. Dennoch wissen Generationen von Lernern, dass sie als Schüler im Unterricht mit Inhalten konfrontiert worden sind, die ihnen im späteren Leben nichts genutzt haben. Auf einige Bereiche des Lernens kann man sich direkt einigen, dass diese wirklich sinnvoll für das spätere Leben sind. Gehören aber Dramentheorien, literarische Gattungsformen, chemische Formeln, Farblehre und musikalische Epochen dazu?
Meiner Erfahrung nach eignet sich ein Mensch das an, was er braucht, wenn er es braucht oder für sich als wichtig genug erachtet, um es sich als Wissen, Fähigkeit oder Erfahrung anzueignen. Natürlich muss diese Fähigkeit des Lernens an sich trainiert werden. Da aber der Mensch instinktiv lernt wie er auch laufen lernt, weil es seine Vorgabe ist, sucht er sich seine Lernfelder auch selbständig.
Wozu braucht es dann noch eine Schule mit Lehrpläne?
Derzeit sind Schulen baulich sehr marode, vom Lehrerstand unterbesetzt – zumindest nach den Erkenntnissen der Wissenschaft und nach dem gesundheitlichen Zustand der Lehrer zu urteilen – und lernunfreundlich, da wenig Lernraum sondern lediglich vorgesetzter Inhalt angeboten wird. Die Lehrpläne berücksichtigen nicht, welche Inhalte von Kindern und Jugendlichen gelernt werden wollen, sondern welche Ideale von Lerninhalten gebildete und bildungsarrogante Erwachsene in entscheidungsfähigen Positionen mit teilweise fehlendem Bezug zu Kindern und Jugendlichen voraussetzen. Dennoch ist die grundsätzliche Idee von Schule sinnvoll:
- Betreuung vieler Kinder durch wenige Erwachsen
- Lernraum zur Vorbereitung auf das gesellschaftliche Leben
- durch Gleichaltrige
- durch Lernangebote
- durch geschulte Erwachsene, die den Prozess unterstützen
- durch gesetzte und freiwillige Gruppen
- Sozialer Treffpunkt für Kinder und Jugendliche
Das System läuft insgesamt aber nicht rund, wenn das Sozialtraining als nebensächlich zu betrachten ist, da der Lehrplan erfüllt werden muss.
Ein Beispiel: Unserer Schule wurden jüngst vom Fairmobil besucht, unter der Leitung/ Schirmherrschaft vom Deutschen Roten Kreuz, mit dem Thema „Stark im MiteinanderN„. Es ermöglicht ein Sozialtrainingstag für die Klassengemeinschaft, um die Schwächeren zu stärken und das Selbstbewusstsein zu stabilisieren. In der von mir geleiteten Klasse haben wir keinen speziellen Außenseiter und einen recht stabilen Klassenzusammenhalt. Wir haben dafür fünf bis sechs Jungen, die jede Großgruppenarbeit sprengen, andere Kinder beleidigen und teilweise auch unterdrücken, weil wir acht sehr zurückhaltende Kinder haben und weil wir zudem unter den Mädchen und Jungen unglaublich kreative und dynamische Persönlichkeiten aufzuweisen haben. Auch gehören diese fünf Jungen nicht einer Gang an, sondern spliten sich – erfreulicherweise – in der Klasse in unterschiedlichen KLeingruppen auf. Prinzipiell bin ich also auch mit meiner Arbeit zufrieden, wünschte mir nur, die Beleidigungen und Scheinkämpfe, die Rangelleien und der Wettkampfgedanke würden teilweise ganz, manches etwas beigelegt werden. DIeser Fairmobiltag ermöglichte das Arbeiten an der Gruppe, wofür sonst so wenig Zeit bleibt, da es sich aber auch nur um einen Tag und nicht um eine intensive Workshoparbeit handelt, bleibt es bei einer Diagnose der Klassensituation und 1000 guten Ratschläge stehen. Theoretisch beginnt aber hier erst der Arbeitsprozess. Das geht aber nicht, weil der Lehrplan im Weg steht.
Der Lehrplan also dient nicht als Vehikel für das Lernen, für den Erwerb des gesellschaftlich gewünschten Sozialverhaltens (zu diskutieren, ob denn das Trainieren von gesellschaftlichem WUnschverhalten für alle Kinder und Jugendliche gesetzt sein sollte oder nicht, würde ich an dieser Stelle nicht wollen, denn letztlich gehe ich davon aus, dass jeder Mensch innerhalb seiner Mitmenschen eine anerkannte und akzeptierte Person sein will und dies funktioniert nur auf der Basis der aufgestellten Regeln.), sondern umgekehrt. Und meiner Ansicht nach ist das der falsche Ansatz. In einer Firma brauche ich teamfähige, kooperierende und selbständig arbeitende Mitarbeiter, die in der Lage sind, sich auf andere einzulassen, und wissen, worin die eigenen Stärken, Fähigkeiten und Schwächen bestehen.
Was aber hat das mit dem Theater zu tun?
Wenn wir davon ausgehen, dass die Schule die Kinder und Jugendlichen auf das Leben in der Gesellschaft, im Berufsleben und Alltagswelt vorbereiten soll, so dass wirtschaftlich, ökonomisch und sozial ein gesunder Mensch dabei herauskommt, dann kann das Theater dieses „Als ob“ leisten. Das Theater setzt nicht nur das gewünschte Sozialverhalten (Teamfähigkeit, rücksichtsvoller Umgang, Respekt vor dem anderen, Disziplin, Konzentration, Verantwortung, Selbstbewusstsein, Selbstvertrauen, Zielorientierung, Durchhaltevermögen, etc.) voraus, es trainiert dieses Verhalten zu dem Zweck des Theaterspielens gleichsam mit, denn ohne funktioniert das Theaterspiel nicht. Gleichzeitig kann das Theaterspiel Problembewusstsein und Problemlösung erschaffen, da die Themen auf die Gruppe auch als Sozialtraining gesetzt oder ausgewählt werden können. Ist Mobbing ein Gruppenthema, kann ich mithilfe theaterpädagogischer Führung an dieses Thema herantreten, ohne Vorwürfe, Appelle oder Maßnahmen setzen zu müssen. Siehe: http://miteinandern.de/spotlight.html Im Rahmen des Theaterspiels und rundherum zum Theater (Bühnenbau, Kostüme, Organisation von Auffürungen, von Proben, Umbaumaßnahmen, Kostenplanung, Rollenverteilung, Stückeauswahl, etc.) ist all das möglich zu lernen, was bislang verkopft in Schulen gelehrt wird, allerdings ohne das Zwangsjackenprinzip.
Lerninhalte sind sicher sinnvoll, aber nur dann, wenn sie als Beispiel dienen, an denen eine Fähigkeit erworben und trainiert wird, nicht als Selbstzweck. Wenn ich im Fach Arbeitslehre ein Regal zusammenbaue, dann geht es nicht um das Regal, sondern um die Ausbildung jener Fähigkeiten, die ich bei der Holzverarbeitung benötige: Bohren, sägen, schleifen, stecken, leimen. Wir tun im Unterricht aber immer so, als ginge es um das Regal, oder um die chemische Formel, oder um die Novellentheorie …
Dazu gehört auch diese Rechtfertigungsdiskussion zwischen Lehrern, die ein Nebenfach unterrichten und die Wichtigkeit dafür unterstreichen, dass dort ebenfalls Arbeiten geschrieben und dafür richtig gelernt werden muss, weil das Fach selbst unbedingt in den Lehrplan gehört. Vermutlich entstehen aus diesen „Nöten“ die inhaltliche Aufblasung des Faches, wie sie der Lehrplan für Musik, Kunst und andere kreative Fächer hergibt.
Ich fragte einen Musikkollegen, weswegen er Musik unterrichte. Er meinte, weil er die Leidenschaft für Musik in den Kindern wecken wollte. Er selbst entstammte ärmlichen Verhältnissen, fand es traurig, dass sich seine Eltern nicht leisten konnten, ihm Unterricht für ein Instrument zu bezahlen, weswegen er dann seine Stimme zum Instrument machte. Diese Liebe und Lust am Musizieren will er wecken. Wie? Mit strengen Rhythmen, Notenblättern und mathematischen Spielen, was eine halbe und eine ganze NOte sei, mit Arbeitsblättern, mit Musiktests etc. Wieso nimmt der Kollege nicht seine Lust und Leidenschaft und schaut, wo sie bei den Kindern stecken, indem er sie experimentell an die Musik führt? Steht nicht im Lehrplan. Ich habe dem Kollegen daraufhin gesagt, dass doch der Lehrplan von Fachidioten entwickelt wurde und es an ihm wäre, erst die Lust dann den Eifer zu wecken, doch er hält sich an den Lehrplan, denn daran muss er sich halten, weil er ein Lehrer ist und weil er sich dazu verpflichtet hat und verpflichtet fühlt. Der Lehrplan als Selbstzweck führt dann zum Tod von Kreativität, Lernlust und Lernvielfalt, obwohl der Lehrplan genau das Gegenteil vielleicht einmal gewollt hat.
Ja, ich plädiere für Theater als Schule zur Auflösung von Fächern, die es in der Welt der Erwachsenen nicht mehr gibt, die es in der Gesellschaft nicht gibt und die eine Struktur vorgaukeln, die es ebenfalls nicht gibt. Kein Jugendlicher macht gerne Mathematik und geht in den Berufsbereich Mathematik, sondern wird nach Berufen Ausschau halten, in denen vielleicht viel Mathematik zur Anwendung kommt, dann jedoch enttäuscht sein wird, wenn er Finanzwirt wird und überhaupt nicht mehr rechnet, sondern nur noch zählt.
Doch allein mit Theaterpädagogik zu arbeiten und ein Theaterspiel an das andere zu reihen, wird energetisch eine große Herausforderung für die Kinder und Jugendlichen, deswegen sollte eine ideale Schule eine Ausgewogenheit zwischen Projekten/Experimenten, Theaterspielen und Praktika erzielen, die den Lernern sinnvolles selbstgesteuertes Lernen ermöglicht, an Inhalten, die sie selbst zumindest mitbestimmen können und mit Methoden, die ihnen für das spätere Leben innerhalb der Gesellschaft nützen können.
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